Bus fahren
Neulich bin ich mit dem Bus gefahren, weil ich total umweltbewusst bin und ein gutes Beispiel sein möchte kein Auto hatte.
Als nahezu Digital Native erwarb ich – nach nur kurzer Rücksprache mit einem Busfahr-Profi – ein KVB-Ticket über meine KVB-App. Mit Google Maps konnte ich die günstigste Linie und den nah gelegensten Abfahrtsort ermitteln und schon ging die Reise los: 10 Minuten Fußweg bis zur Haltestelle, der Bus kam sogar pünktlich. Beim Einsteigen hielt ich dem Busfahrer unsicher lächelnd mein digitales Ticket unter die Nase und er deutete unwirsch auf eine vor ihm befindliche Apparatur. Sollte ich mein Ticket vor dieses Gerät halten? Erster Versuch. „Nicht da, DA!“ Unwirsch deutete der Herr des Omnibusses etwa 5cm tiefer. 2. Versuch. DA! Also noch tiefer. „Ich fahre nicht so oft Bus“, versuchte ich, den Kapitän zur Solidarität mit mir Rookie zu gewinnen. „Dat merkt man“, knatterte es zurück und ich trat solchermaßen geteert und gefedert den Weg zu einem Sitzplatz an.
Aufgeregt starrte ich auf den Streckenverlauf bei Google Maps. 7 Haltestellen lagen vor mir, dann würde ich mein Ziel, den Zahnarzt meines Vertrauens, erreichen. An der nächsten Haltestelle stieg ein älterer Herr mit Rollator ein. Blitzgewandt parkte er seine Gehhilfe an den dafür vorgesehen Ort und verriegelte die Bremsen. Behände entwertete er sein analoges Ticket (sowas gibt es auch noch!) am Automaten, ein verheißungsvolles „Pling“ besiegelte den Erfolg. Randvoll mit Neid über diese souveräne Leistung verfolgte ich, wie der Mann den Klappsitz gegenüber des Rollator-Parkplatzes herunterklappte und sich dort zufrieden niederließ. Sehr gut fand ich, dass der Busfahrer den gesamten Vorgang mit Argusaugen im Rückspiegel beobachtete und sich währenddessen keinen Zentimeter fortbewegte, um den Herrn nicht zu gefährden. 10 Karmapunkte! Aber was war das? Die Stimme des Blechkapitäns schallte durch den Bus: „Nicht auf den Rollator setzen!“ Hä? Der Herr saß doch safe and sound auf seinem Klappsitz und äußerte dies auch sogleich. „Setzen Se sich nicht auf den Rollator!“ schimpfte der Fahrer nun erneut. Hilfreich eilte eine der vorderen Fahrgästinnen zur Hilfe und teilte dem Busfahrer mit, dass es sich wohl um eine optische Täuschung handeln müsse, der Herr säße nicht auf seiner Gehhilfe, sondern ordnungsgemäß sicher auf einem buseigenen Sitz. „Ach so, na dann!“, brummelte es zurück und der Bus setzte seine Fahrt fort.
Nun kam aber Bewegung in die Fahrgäste. Alle erklärten sich gegenseitig, wie es eventuell zu diesem Missverständnis gekommen sein könnte. Vornehmlich der Herr, der dem Rollatoreigentümer nun gegenüber saß, erklärte ebenjenem nochmal die ganze Geschichte en detail. Der Rollatormann wiederholte loriotesk, dass er doch gar nichts gemacht habe. „Aber ich sitze doch hier!“ „Jaja, alles gut!“ So redeten alle fröhlich durcheinander und ich begann mich richtig wohlzufühlen in meiner neuen sozialen Gemeinschaft. Ein kurzer Blick auf Google Maps verriet mir, dass ich dieses Zugehörigkeitsgefühl noch ganze drei Haltestellen genießen durfte.
Der Rollatormann und sein Gegenüber verrieten sich bereits ihr Alter: 83 zu 64.
Der 64jährige gab sich noch „10 gute Jahre“, dann wolle er abtreten.
Der 83jährige konnte das nicht verstehen.
„Ich lebe noch gerne, kann nur nicht mehr gut laufen.“
Der 64er: „Es ist ja sowieso nur das irdische Leben!“
(Ein leichtes Unwohlsein schlich sich bereits in mein wohliges Gemeinschaftsgefühl.)
Nr. 83: „Ja, en anderes Leben jibbet nicht!“
(Ich applaudierte innerlich.)
Nr. 64: „Ja, wenn man das glaubt, dann MUSS man ja am Leben kleben! Ich arbeite im Hospiz und im Moment des Todes habe ich den Erlöser mit eigenen Augen gesehen!“
(Och nee, nicht das jetzt!)
Nr. 83: „Ach ja, wirklich?“
(Ich feiere die Betonung, die er in diese Worte legt.)
Nr. 64: „Das Leben danach ist noch viel schöner als dieses hier.“
(Ich blicke mich in dem schmuddeligen Bus um – hat er vielleicht recht?)
Nr. 83: „Na, wenn Sie meinen – ich bleib lieber noch was auf der Erde.“
(Ich könnte ihn küssen!)
Leider musste ich an dieser Stelle von Bord gehen. Sehnsüchtig blicke ich ihr nach, meiner blechernen Arche Noah. Gerne war ich ein – wenn auch weitgehend stummes – Mitglied dieser fröhlichen und redseligen Zwangsgemeinschaft auf Zeit.
Bald fahre ich auf jeden Fall mal wieder mit den Öffis.
Wer Öffis fährt, lebt aufregender und kommt vielleicht nicht am Ziel, jedoch im Zentrum der Vielfalt menschlichen Seins an.
In diesem Fall sogar beides! Ein Glückstag!
Xenophilie in 7 Haltestellen! Der öffentliche macht‘s möglich.
Okay, das musste ich jetzt erstmal googeln – aber es stimmt!